Laptop mit News Hologramm - Arbeitsrecht für Arbeitgeber

Wegezeit kann Arbeitszeit sein!

Der EuGH hat entschieden, dass die Fahrten, die Arbeitnehmer ohne festen Arbeitsort zwischen ihrem Wohnort und dem Standort des ersten und letzten Kunden des Tages zurücklegen, Arbeitszeit sind.

In unserem Newsletter vom 03. Juli 2015 hatten wir über die anstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Sache Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones Obreras v. Tyco Integrated Security SL, Tyco Integrated Fire & Security Corporation Servicios SA und die diesbezügliche Auffassung des Generalanwaltes informiert. Der Europäische Gerichtshof ist nun der Auffassung des Generalanwaltes gefolgt und hat mit Urteil vom 10.09.2015 (C-266/14) folgendes entschieden:

Die Zeit, die Arbeitnehmer ohne festen oder gewöhnlichen Arbeitsort für die Strecke zwischen ihrem Wohnort und dem Standort eines Kunden am Anfang sowie am Ende eines Arbeitstages benötigen, ist Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie.

DIE ENTSCHEIDUNG DES EUGH:

Der Europäische Gerichtshof hatte über einen spanischen Fall zu entscheiden. Zwei Unternehmen, die Servicetechniker in ganz Spanien mit der Installation und Wartung von Sicherheitsausrüstung in privaten Wohnungen, industriellen Anlagen und Büros beschäftigen, schafften 2011 ihre Regionalzentren ab und verlegten die Administration vollständig in ihr Hauptquartier in Madrid.

Seitdem fahren die Techniker zu Beginn des Tages nicht mehr in das für sie zuständige Regionalzentrum, um dort die Arbeitsanweisungen für den Tag zu bekommen und von dort aus zu dem ersten Kunden zu fahren, sondern erhalten die entsprechenden Anweisungen für den nächsten Arbeitstag nun elektronisch. Die Arbeitnehmer reisen dann direkt von ihrem Wohnort zu dem Standort des ersten Kunden und vom Standort des letzten Kunden wieder zurück nach Hause. Dabei sind die Reisedistanzen zum Teil erheblich. Die Reisezeit beträgt teilweise bis zu drei Stunden am Tag.

Während die Unternehmen als Arbeitszeit lediglich die Zeit zwischen dem Beginn des ersten Kundentermins bis zu dem Ende des letzten Kundentermins als Arbeitszeit ansahen, argumentierten die Arbeitnehmer, dass auch die Fahrtzeit zum ersten Kunden, sowie die Fahrtzeit vom letzten Kunden nach Hause Arbeitszeit sei.

Nach Artikel 2 der europäischen Arbeitszeitrichtlinie ist Arbeitszeit jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt.

Nach der Auffassung des EuGH fällt die Fahrtzeit der Servicetechniker von ihrem Wohnort zum ersten Kunden bzw. vom letzten Kunden zurück nach Hause aus mehreren Gründen unter diesen in Art. 2 definierten Begriff der Arbeitszeit.

Zunächst seien die Fahrten zu den Kunden das notwendige Mittel, um an den Standorten dieser Kunden technische Leistungen erbringen zu können, sodass das Reisen in diesen Fällen einen integralen Bestandteil der zu erbringenden Arbeitsleistung darstelle. Die Arbeitszeit könne daher nicht auf die Zeit begrenzt werden, in der tatsächlich Wartungs- und Servicearbeiten durchgeführt werden.

Zudem lege der Arbeitgeber fest, zu welchen Kunden die Techniker in welcher Reihenfolge fahren sollen. Während der Fahrtzeiten stünden die Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung und unterlägen während der Fahrten der Direktionsgewalt des Arbeitsgebers, der die Kundenreihenfolge ändern oder einen Termin streichen oder hinzufügen könne. Folglich seien sie nicht in der Lage, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihren eigenen Interessen nachzugehen.

Ausschlaggebend für die Entscheidung des EuGH war auch, was das Unternehmen vor der Schließung der Regionalbüros als Arbeitszeit ansah. Bis 2011 betrachtete das Unternehmen die Fahrtzeit von den Regionalbüros zu dem ersten Kunden des Tages und vom letzten Kunden des Tages zurück zu den Regionalbüros als Arbeitszeit. Dass die Techniker nun die Fahrten an ihrem Wohnort beginnen und beenden, sei nach der Auffassung des EuGH eine unmittelbare Folge der Entscheidung des Arbeitgebers die Regionalbüros zu schließen und habe an dem Wesen der Fahrten nichts geändert.

Außerdem liefe es dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel des Schutzes der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer, das die Notwendigkeit einschließt, den Arbeitnehmern eine Mindestruhezeit zu gewährleisten, zuwider, wenn die Arbeitnehmer gezwungen wären, die Folgen der Entscheidung des Arbeitgebers zu tragen.

Nicht zu berücksichtigen sei laut dem Europäischen Gerichtshof demgegenüber, dass Arbeitnehmer während der Fahrtzeiten privaten Tätigkeiten nachkommen könnten. Dies zu verhindern und zu kontrollieren, sei Sache des Arbeitgebers.

Auch der Einwand, dass Unternehmen durch diese Entscheidung höhere Kosten entstehen könnten, beeinflusste die Entscheidung des Gerichtshofes nicht. Dieser wies lediglich darauf hin, dass die Art und Weise der Vergütung der Arbeitnehmer in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens nicht unter die genannte Richtlinie, sondern unter die einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts fiele, sodass es den Unternehmen freistehe, die Vergütung der Fahrtzeit abweichend von der Vergütung der restlichen Arbeitszeit zu regeln.

DIE AUSWIRKUNGEN DER ENTSCHEIDUNG:

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes könnte erhebliche Auswirkungen für die Arbeitsorganisation vieler Unternehmen haben.

Zwar bleibt abzuwarten, inwieweit die besondere Konstellation, dass die Unternehmen hier nach der Schließung der Regionalbüros die Berechnung der Arbeitszeit zum Nachteil der Arbeitnehmer änderten, ausschlaggebend für die Entscheidung war. Es ist demnach nicht auszuschließen, dass in anders gelagerten Fällen abweichende Entscheidungen ergehen.

Zudem bleibt festzuhalten, dass die Entscheidung nur für Arbeitnehmer ohne festen oder gewöhnlichen Arbeitsplatz gilt.

Nichtsdestotrotz sollte die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes bei der Kostenkalkulation und Personalplanung berücksichtigt werden. Neben der Tatsache, dass Fahrtzeiten zu Kunden nun Teil der täglich zulässigen Höchstarbeitszeit sind, sind Fahrzeiten auch bei der Berechnung der zwingenden Ruhezeiten des Arbeitszeitgesetzes zu beachten. Diese beginnen dann erst mit der Rückkehr des Arbeitnehmers an den Heimatort. Ein früher Arbeitsbeginn am nächsten Tag könnte dadurch ausgeschlossen sein.

Arbeitgeber sollten sich deshalb einen Überblick verschaffen, inwieweit sie von der aktuellen Entscheidung betroffen sein könnten, um gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.